Dienstag, 15. Mai 2007

Herzlose Ciriel

Szene in der Altstadt. Es ist Samstag, ca. 11 Uhr morgens und es spricht alles für einen wunderschönen Tag. Die Sonne scheint, die Ciriel schlendert gemütlich vor sich hin und lässt sich den Geschmack des Eises auf der Zunge zergehen. Es wurde wieder mal Zeit für eine neue Sorte. Obwohl sie die Bezeichnung dieser exotischen Sorte schon längst vergessen hat, kann sie Erdbeer, Vanille und etwas Rum schmecken. Ziel des Spaziergangs: der Bücherhandel. Hey, schließlich soll es ein wunderschöner Tag werden und zu einem wunderschönen Tag gehört das Büchergeschäft dazu!

Ciriels kleine private Welt kreist langsam um ihren Kopf, als sich eine leise Stimme aus dem Ultraastralen sanft, doch unaufhaltsam einen Weg in die Athmosphäre bahnt.

"Entschuldigen Sie bitte..."

Hmm... Wer bist du, aus fernen Sphären sprechende Stimme? Sprichst du zu mir? Du bist so leise, ich möchte dich am liebsten überhören und weiter gehen. Aber da du ein ziemlich gebrochenes Deutsch sprichst, gehörst du wahrscheinlich einem Touristen, der sich verirrt hat und den Weg erklärt haben möchte. Na gut, ich werde dir einfach die Domspitze zeigen und dir raten, ihr zu folgen.

Ciriel dreht sich um. Der kleine Planet verschwindet in astralen Nebeln.

Vor ihr stehen zwei Frauen. Eine von ihnen, die Sprecherin, ist alt und eine gefärbte Blondine.

"Vielleicht kannst du uns helfen..."

Oh. Sie sind also schon auf "Du" übergegangen, obwohl Ihr gegenüber noch keinen Mucks von sich gegeben hat.


"Wir haben so große Probleme, wir wissen nicht mehr, an wen wir uns wenden sollen... wir haben zu Gott gebetet und mehr können wir nicht tun, also vielleicht kannst du uns helfen..."

Wie ein Film laufen auf Ciriels mentaler Leinwand die Ereignisse der nächsten 5 Minuten ab. Mal sehen, jetzt kommt zuerst eine Biografie, die ungefähr so anfangen wird: "Unser Vater wurde im Krieg von den Russen erschossen und unsere Mutter musste mit uns fliehen. Wir hatten keine Möglichkeit zur Schule zu gehen und ich musste mit 13 arbeiten. (...) (...) tragischess Ereignis, tragisches Ereignis (...) ... und nun ist unser lieber Hansi auch noch an diese drogenabhängige Schlampe gekommen und will sie auch noch heiraten, ich bin so unglücklich, und unsere Gertrud hat nun ein Kind mit einem Down-Syndrom geboren... ich bin so unglücklich, weiß gar nicht mehr, was ich machen soll..." Ciriel seufzt in Gedanken.

"Na gut. Ich sehe, was ich für Sie tun kann. Um welche Art von Problemen handelt es sich?"

"Oh, uns geht es so schlecht und die Kinder sind krank, wir haben gebetet und wissen nicht, wohin wir uns noch wenden sollen. Kannst du uns helfen?"

"Na ich fürchte, ich kann da wenig helfen. Aber ein Arzt kann es, da bin ich mir sicher!"

"Wir haben kein Geld. Die Kirche gibt uns zwar Geld, aber es ist zu wenig."

"Kein Problem. Wenden Sie sich einfach an die Krankenversicherung."

"Das ist das Problem. Wir haben keine Krankenversicherung. Wir sind illegal hier."

Ciriels Augenbraue schießt nach oben. Aha. Das ist also der Punkt. Wisst ihr überhaupt, dass ich jetzt zur Polizei gehen und illegale Einwanderer melden könnte? Vermutlich würde mir die Polizei dafür die hand schütteln und ein großes Danke sagen. Verräterin? Na und?

"Nuuun... *Gedankenpause* Dann würde ich an ihrer Stelle schauen, dass ich eine legale Aufenthaltserlaubnis bekomme."

"Wir können keine Aufenthaltserlaubnis bekommen. Bitte hilf uns."

"Sie können auch nicht ewig illegal hier bleiben."

"Allein Gott weiß, wie lange wir hier bleiben können. Kannst du uns helfen? Gott wird dir sicher auch helfen."

"Tut mir leid, ich wüsste sonst nichts, was ich tun kann."

"Du könntest uns vielleicht ein bisschen Geld geben... oder Essen für die Kinder kaufen."


BADOOOMM. Ihr habt es endlich ausgesprochen und ich hatte schon drauf gewartet. Auf Ciriels kleinem Planeten schossen Vulkane wie Pilze aus der Erde. Die Ära des Eoarchaikum beginnt. Magmaflüsse begraben die labile Erdkruste, sie zerbricht und blutet Magma. Ach so ist das. Ihr haltet mich wohl für einen wandelnden Geldbeutel. Ich bin der Geldgeist, der nach Mitternacht durch die Sparkassen spuckt. Wenn ich weine, rollen Münzen aus meinen Augen und aus meinen Wunden kann ich ganze Scheine ziehen. Meine Güte, jetzt im Ernst, ich kann nachts nicht einschlafen, weil ich Angst habe, dass mir das Geld für die Fahrschule ausgeht und ich wüsste so viele Sachen, die ich meiner Mutter kaufen könnte, wieso soll ich mir um irgendwelche KINDER kümmern? Ganz zu schweigen davon, dass wir zu Hause eins haben, das mich regelmäßig an den Rand des Wahnsinns treibt. Man braucht natürlich gar nicht zu erwähnen, dass Gott schweigt, denn er ist wütend auf mich, seit ich es gewagt habe, an ihm zu zweifeln.

"Tut mir Leid..." Ich höre, wie die Wörter nacheinander meinen Mund verlassen "Das hätten Sie sich vorher überlegen sollen."

"Du hilfst uns?"

"Es war Ihre eigene Entscheidung, hierher zu kommen. Sie hatten die Möglichkeit, vorher alles abzuwägen."

"Du hast keine Ahnung, was wir durchgemacht haben." Empörung klingt in der Stimme.

"Sie haben es gewählt, was auch immer Sie durchgemacht haben. Sie hätten ihre Lage voraussehen können. Und ich habe kein Geld. Es tut mir Leid."

Ciriel dreht sich auf Absätzen um und geht im Schnellschritt weiter, ohne sich umzudrehen.
Der kleine Planet droht von innen heraus zu verbrennen. Geld war das letzte, woran die Schöpferin erinnert werden wollte. Gnadenlos jagt sie Blitze durch die Athmosphäre bis... etwas ihren Zorn unterbricht. Etwas vertrautes, lang erwartetes, mit dem unmittelbar schöne Erinnerungen verbunden sind... Der Geruch von Papier. Bücher. Viele Bücher. Jede Menge davon. Mal sehen... also zuerst die neuen Romane von Pratchett checken, dann in der Comicabteilung ein bisschen Inuyasha lesen und wenn noch Zeit bleibt, in der Medizinabteilung stöbern.

7 Kommentare:

Roger B. Nigk hat gesagt…

Zu mir kam einer in der Maximillllllianstrahhhße und meinte er sei Bulgare oder was weiß ich und zu so und so viel Prozent behindert und arbeitslos und obdachlos und völlig mittellos und hungrig und ob ich kein Geld für ihn hätte. (nein, er sagte nicht "Kleingeld", er sagte "Geld"!)
Ich, mit meiner Leberkas-Semmel in der Hand schluckte meinen letzten Bissen runter und sagte ihm, dass meine letzte Kohle in die Semmel geflossen is und ich ihm die Hälfte der Hälfte von dieser geben könnte (in der Sonne glänzend von meiner Spucke). Er winkte ab. So hungrig war er dann wohl doch nicht. Er hätte sich seinen Silberblick vermünzen lassen sollen, dann hätte er genug Geld gehabt.

Roger B. Nigk hat gesagt…

Ergänzung: Meinen 10er in der Tasche ließ ich natürlich auch in der Tasche.

Lady Ciriel hat gesagt…

Das ist das Problem Roger. Wir beide sehen einfach zu nett aus. Aber am meisten regt mich auf, wenn man in der Stadt von irgendwelchen Punks angebaggert wird, nämlich ob man ihnen ein BIER spendieren kann. Ich könnte ihnen dann jedensmal an die kehle gehen. Gesellschaftliche Schmarotzer nenn ich sowas.

Roger B. Nigk hat gesagt…

Mich baggern auch ständig Punks an, aber die wollen nie'n Bier sondern nur meinen Körper, diese notgeilen Mösen.

Lady Ciriel hat gesagt…

Was, sind die schwul, oder was?

Roger B. Nigk hat gesagt…

Nein, nein, diese dicken Punkerbräute mit ihren Kettenbehangenen Eastpacks und billig gefärbten Iro'z.

Anonym hat gesagt…

Ach so. Na, mich baggern nur männliche Punks an ^^